Kain Essener und die Atomkraft 


Kain Essener hatte einen ruhigen Moment und lie� so seine Zeit an sich vorüberstreichen. Er dachte nach. Es standen wieder Castor-Transporte mit abgebranntem Atomm�ll ins Zwischenlager Gorleben an.

Ganz vern�nftig fand er seine Zeitgenossen nicht. Vor Jahrzehnten hatten sie begonnen, die Atomkraft zu nutzen. Sie hatten zur Energiegewinnung Atomkraftwerke gebaut. Klar war dabei von Anfang an, dass dabei hochradioaktive Abfallstoffe entstehen, die sorgf�ltig und dauerhaft sicher gelagert werden mussten. Doch statt vorab erst einmal Lagerst�tten f�r diese Abfallstoffe zu suchen und herzurichten, begannen sie einfach, die Technologie zu nutzen. Dies ging so über Jahrzehnte, alle nutzten die Energie und manche zogen großen wirtschaftlichen Gewinn daraus. Immer mehr Abfallstoffe fielen an. Sie wurden zwischengelagert. Ein Endlager hatten sie noch nicht gefunden.

Weil aber zwischenzeitlich durch Unf�lle großen Ausma�es die immense Gef�hrlichkeit dieser Technologie offenkundig wurde, beschlossen einzelne Staaten, die Nutzung der Atomkraft zu beenden. Wohin mit den Abf�llen, zu denen auch die technischen Einrichtungen zur Energiegewinnung z�hlten, dass wussten sie immer noch nicht. Die meisten machten sowieso unverdrossen weiter.

Kain Essener zweifelte an der Vernunft seiner Mitmenschen. Er musste an den Planeten Erde denken. Dieser w�rde auch gut ohne die Menschen auskommen. Doch die Nachrichten teilten Kain Essener mit, dass seine Mitmenschen die Atomkraft, die Energiegewinnung aus der Kernspaltung weiter betreiben wollten. Sie ersannen daf�r sogar neue technische Konzepte. Zu dem begannen sie, mit der Kernfusion von Atomen zur Energiegewinnung zu experimentieren. Das Projekt hie� Iter. Sicher ein Akronym, eine Abk�rzung, bedeutete dieses Wort auf Lateinisch auch Marsch. Ein langer Weg.

Noch einmal fragte sich Kain Essener, wohin mit den radioaktiven Abfallstoffen, die f�r Jahrzehntausende, f�r geologische Zeitr�ume lebensgef�hrliche Strahlung aussenden w�rden. Wen interessierte diese Frage? Kain Essener überlegte noch: die radioaktiven Abfallstoffe strahlten f�r zehntausende und hundertausende von Jahren in t�dlicher Intensit�t. Wer w�rde in tausend Jahren noch wissen, wo Gorleben liegt?
Sollte man vielleicht eine Religion Gründen, die die Erinnerung an das Endlager bewahrte und tradierte? Nach den Gepflogenheiten der Neuzeit war es sicherlich eine Beh�rde, die damit beauftragt wurde.
Kain Essener überlegte. Vor tausend Jahren bestand das Heilige R�mische Reich Deutscher Nation. Welche Ministerien von damals bestanden in der Bundesrepublik Deutschland weiter? Immerhin gab es eine historische Tradition und somit auch Kenntnis jener Zeit, geschichtliche überlieferung. Tausend Jahre waren so gesehen vielleicht zu meistern. Wie stand es mit zehntausend, hunderttausend Jahren? So lange w�rden diese gef�hrlichen Abfallstoffe t�dliche Strahlung aussenden.

Religionen waren keine schlechte L�sung, fand Kain Essener. Das Christentum tradierte seit 2000 Jahren eine Vorstellung von Mitmenschlichkeit. Der Buddhismus stand seit 2500 Jahren f�r Mitmenschlichkeit und die Menschlichkeit des Einzelnen. Der Taoismus, Erkenntnisse über das menschliche Sein und das Wesen von m�nnlich und weiblich, mit einer Tradition von 10000 Jahren. Der Islam, eine Religion im Wesentlichen zur Pflege einer Menschlichkeit m�nnlicher Auspr�gung, bestand seit 1500 Jahren.

Brauchten sie eine Religion, die die Kenntnis von Menschen und ihren gef�hrlichen Abf�llen unsterblich machte? Salopp gesprochen, brauchten sie eine Religion, die ihnen ihre eigene Schei�e im Ged�chtnis hielt? Was „man“ halt so machen konnte. Einerseits folgten die Menschen ihren tierischen Bed�rfnissen – was auch eigentlich sonst? – andererseits suchten sie sich davon zu erl�sen. Und sie konnten vieles erreichen, umsetzen, was eigentlich nicht menschlich war und mit ihrem Geist erf�llen. Immer wieder blieb dabei vieles auf der Strecke – weil Gier und Geiz mit zu ihren Triebkr�ften z�hlten, weil sie es eilig hatten. Und verga�en, was sie eigentlich waren – tierische, lebendige Wesen, die sich ihrer selbst bewusst sein konnten. Sie produzierten viel, mehr, als dem Planeten Erde zutr�glich war. Sie produzierten Abfallstoffe in einem Ausma�, dass ihnen selbst schadete und sie vor schier unl�sbare Probleme stellte.
Alle bestehenden Religionen forderten immer wieder Ma�e, Ma�halten. Wo war die Vernunft, die sie daran eingedenk sein lie�, wo war die Vernunft, zu der sie f�hig waren, um ma�voll mit sich selbst und den Ressourcen des Planeten umzugehen? Alles, was sie je „gemacht“ hatten, mit all ihrer Macht – Kain Essener schien es, es wendete sich gegen die Menschen. So, wie sie mit dem Planeten umgingen, gingen sie mit sich selbst um. Es roch nach r�cksichtsloser Ausbeutung, sinnlosem Vorgehen auf Kosten der eigenen Kinder und der anderen Lebensarten des Planeten.

Vor allem den M�nnern sollte ihr Tun bewusst werden, bewusst sein. Auch, wenn die Frauen sich emanzipierten – die M�nner blieben vom Grunde ihres Wesens her die Macher – auch die Sch�pfer. Oft genug waren sie nur kleine Herrg�tter – zu jeder Zeit. Dachten sie immer daran, dass sie es dazu von der Welt und ihren Frauen nehmen mussten? Kain Essener griff sich an die eigene Nase und wollte doch auch nur wieder eigentlich sein.

 

 

Klaus Gölker   �2012   | Home |