Kain Essener im "Café d'accord"


Kain Essener saß träumend im Café d'accord.
Freitagabend im Café mit den seiner Meinung nach besten Lautsprechern. Rings um den Raum, über Fenstern und Türen waren Lautsprecher angeordnet - solche, die klangen. Gegeben wurde Miami Vice mit münchner Melange, einige schicke Mickies und Rundfunkleute ließen sich von ausgesucht hübschen Kellnerinnen bedienen. Das Lokal war gut besucht.
Kain saß alleine an einem runden Tisch in der Mitte des Raumes, vor sich einen doppelten Espresso, Martini Bianco und Tabak, diesmal einen hellen Havanna, sowie die Gerätschaften zum Zigarettendrehen, sowie die zum Schreiben. Wieviele Genußgifte noch? fragte sein Gewissen. Kain gedachte seiner - und sich im Zaume zu halten, und doch, heute war ihm nach einem Schuß Miami Vice und er hatte seiner eigenen Laune nachgegeben.
Er war vor einer Viertelstunde angekommen, jetzt, um 19.00 Uhr, lichteten sich die Reihen etwas. Der Havanna schmeckte bitter-süß und scharf, ein herbes Kraut. Die Gäste des Abends: da waren ältere Gesellen mit schwarzen Schnauzern, heftig auf ihre weibliche Begleitung einredend, und natürlich saßen an der Theke einsame Bartypen, denen er sich hier manchmal hinzugesellte, um in Ruhe, untermalt von Rockmusik, einen Kaffee zu trinken. Ebenso als Gäste zugegen waren Paare, gemischt oder egal, die sich hier nach der Arbeit zum Gespräch bei einem Pils trafen, und anwesend waren auch die Freundesgruppen, die sich hier zum Ausgehen verabredet hatten, um den Abend mit einem Gespräch beim Essen angehen zu lassen.
Wo war Miami?
Phil Collins wollte, daß sie zurück käme. Wo war SIE hingegangen? Wo war Schicki-Micki? Kain Essener beschloß, sich selbst ganz langsam anzunehmen, sachte zunächst, um sich besser kennen zu lernen.
An einem Tisch in einer Ecke, im großen Raum des Cafes und doch zurückgezogen von den anderen, saß ein junges Paar. In einem Film aus den Vierzigern hätten sie mitspielen können: sie mit engelgleichem Haupt, das schmale Gesicht umrahmt von einer Gloriole aus langem, blondgelocktem Haar. Auf dem hellen Elfenbein ihrer Haut spielten Lichter, Wiederschein der flackernden Tischkerze. Während sie erzählte, schien er sich in den Schatten der Wand zurückzuziehen. Sie zahlten und gingen.
Am liebsten wäre Kain derjenige gewesen, der mit ihr ging. Er nippte vorsichtig am Martini, holte langsam tief Luft. Er begann, sich wohler zu fühlen. Ganz langsam würde er sich annehmen, mit der Zeit, mit seinen Problemen-und mit Liebe, ganz ohne alles, in und mit allem ganz.




Klaus Gölker   ©2000   | Home |