Garda-Panorama

 

Kain Esseners fünf Tage im Süden

Sie fuhren abwechselnd und gemeinsam – Kain Essener war mit seiner Schwester Sarah in den Süden aufgebrochen.

Irgendwo zwischen Bolzano und Trento überholten sie einen zum Caravan umgebauten Reisebus. Es war keiner dieser alten Busse, wie sie sich junge Leute manchmal zum Reisen herrichten. Es war eine Sonderanfertigung, edel silbergrau und dunkelGrünmetallic lackiert. So, wie auf Caravans Fahrr�der oder Mopeds als Zweitfahrzeuge huckepack befestigt waren, so zog dieser Bus einen Smart auf einem PKW-Trailer hinter sich her. Camping de luxe.

Es blieb nur ein Moment f�r den Eindruck, als sie, von Rovereto über die Landstra�e kommend, jene Kurve oberhalb von Torbole nahmen. Ein Blick tat sich auf, bot sich ihnen – wie dieser See in der sp�ten Nachmittagssonne eingebettet zwischen den Bergen lag, sich im Süden unter diesem Licht weitete – Maler malten solche Panoramen mit Zypressen, die wie Lanzen in den Himmel stachen.

Sp�ter dann sa�en sie im Restaurant ihres Hotels, a�en ihren ersten Fisch aus dem Gardasee, noch sp�ter tauchten sie in den Abend auf der Terrasse über dem See.

Sein Zimmer – sein Balkon blickte auf senkrecht aufsteigenden Fels, nur zweieinhalb Meter vor ihm. Selten hatte er in letzter Zeit so gut und erholsam geschlafen.

Der erste Tag, Sonntag und Sonnentag, geh�rte ihnen in Verona.
Schon auf dem Hinweg hatten sie in Garda die über das Internet vorbestellten Karten f�r die letzte Auff�hrung der Saison in der Arena abgeholt – Aida erwartete sie am Abend.

Nun hatten sie das Auto in einer zentrumsnahen Tiefgarage geparkt. Ein kurzer Fu�marsch, und sie betraten den Liston durch das große Stadttor. Der Liston – der Salon Veronas. Amtsgeb�ude, besagtes Stadttor am unteren Ende, am oberen Ende die Altstadt und die Arena. Dazwischen viele Cafes, die ihre R�umlichkeiten nach aussen auf den Platz hinausschoben, Tische und St�hle unter schattenspendenden Markisen.
Bruder und Schwester fotografierten einander vor der Arena. Dann hatte Kain Essener Appetit auf ein Eis. Gleich bekam er Gelegenheit, sich auf Italienisch zu beschweren, denn die Bedienungen, die eifrig um ihn herum hantierten, lie�en ihn fünf Minuten lang stehen, ohne ihn nach seinen W�nschen zu fragen. Aber er erhielt sein Eis – Tiramisu in einer Waffelt�te, das ihm auf dem weiteren Weg in die Altstadt über die Hand troff.
Es war Sonntag, aber die Gesch�fte waren ge�ffnet, und so begann seine Schwester zu schoppen, Mitbringsel f�r ihre Tochter zu kaufen. Kain zog mit. Ohne Hast erreichten sie nach einiger Zeit den Piazza del Erbe, die Signoria und zogen auf den Touristenpfaden weiter zum Haus der Julia. Hier hatte sich schon die ganze Welt verewigt, jeder Mauerfleck war mit Graffitti verziert, in der Durchfahrt reichten die Nachrichten, das A B liebe oder das C hier gewesen sei, bis unter die Decke.
Auch Sarah wollte vom Balkon der Julia blicken, er blieb im Hof, um sie von dort aus zu fotografieren. Als sie wieder herabgestiegen war, setzten sie beide sich auf eine Steinbank im hinteren Bereich des Hofes. Vor ihnen stand eine lebensgroße Bronzefigur der Julia, mit polierter rechter Brust und blankem Po. Viele der anderen Touristen hatten sich zum Ziel gesetzt, sich in liebkosender Positur an dieser Statue fotografieren zu lassen. Einer nach dem anderen und eine nach der anderen traten sie unter Gel�chter und Rufen hinzu, fassten Julia an besagte K�rperteile und lie�en sich ablichten.

Mittagessen – sie bekamen Hunger. In einer Seitenstra�e der Altstadt, schon Richtung Dom zu, fanden sie eine Trattoria, die italienisch aussah. Die Tische ringsum im Schatten der zugeh�rigen Schirme waren von Italienern besetzt, ein Zeichen f�r eine gute Wahl.

Sie setzten sich, unterhielten sich weiter, erhielten die Karte. Canapees gab es, zu trinken Wein und Wasser. Sie bestellten, und Sarah berichtete ihm, dass sie gespannt sei, voll Erwartung, das Amphitheater der R�mer am Fu�e des Berges zu sehen, auf dem im Mittelalter die Burg eines der F�rsten aus der Nibelungensage stand, und in R�merzeit ein Heiligtum lag und ... . Ein Bettler kam vorbei, blieb stehen. Ein �rmlich gekleideter, �lterer Mann. Kain sp�rte seine Aura, bevor er ihn sah. Ein Mensch, der Pech gehabt hatte, unverschuldeter Weise. Ein gerader, ehrlicher Mann. Kain Essener war verwirrt, seine Schwester erz�hlte weiter. Bevor er wusste, wie er reagieren sollte – eigentlich wollte er dem Anderen gerne etwas anbieten – ging dieser weiter und trat zu den Tischen des benachbarten Nobelrestaurants. Ob der Bettler dort etwas bekam, konnte Kain nicht mehr sehen. Seine Schwester hatte den anderen kaum bemerkt, erz�hlte, ihre italienische Brotzeit kam.

Am Dom vorbei zogen sie stadtausw�rts, über die alte R�merbr�cke hinaus und hinüber auf die andere Seite der Etsch. Am Amphitheater angekommen, blickten sie durch die geschlossene Pforte hinein, auf die Treppenanlagen, die sich den Berg hinaufzogen zu einem Geb�ude, das wie ein Riegel quer zum Hang lag, ein Kloster vielleicht.
Weiter die Stra�e hinab der Eingang zum Theater, zum angeschlossenen Museum in jenem Bau, der wirklich einst ein Kloster war, errichtet auf den Resten eines r�mischen Heiligtums. Kain musste sein Kamerastativ, seine Kameratasche an der Pforte hinterlassen, der Eintritt war Sonntags frei.
Sie schritten an der B�hne vorbei, hier wurde immer noch Theater gespielt, auch diesen Abend w�rde es wieder eine Auff�hrung geben. über die vorhin besichtigten Treppen gelangten sie in die h�heren Reihen. Sie setzten sich, Kain sp�rte seine eigene M�digkeit. W�hrend seine Schwester in ihrem Reisef�hrer las, legte er sich auf den aufgeheizten Fels der Sitzreihen und schlief ein. Ihn weckte ein m�chtiges Glockenspiel, das vom Dom zu ihnen herüberscholl. Doch noch wollte er den Raum des Schlafes nicht verlassen, er hielt inne zwischen Wachen und Schlafen. Die Glocken drangen über eine Viertelstunde zu ihm. Erst als sie endeten, erhob er sich. Seine Schwester fand das Get�se blechern, f�r ihn war es italienisch. Sie zogen los, die r�mischen Artefakte im Museum zu besichtigen.

Der Abend sah sie wieder am Liston, wo sie auf der Au�entreppe eines Amtsgeb�udes ihre Take-Away-Pizzen a�en. Kinder hatten seit Jahrhunderten die seitliche, schr�ge Br�stung der Treppenrampe als Rutschbahn genutzt – sie taten es auch heute. Der Fels war von ihrem Vergn�gen poliert. Langsam sammelten sich die Besucher der n�chtlichen Vorstellung. Auch Sarah und Kain brachen auf, sich in der Schlange vor dem Einlass zu ihren Pl�tzen anzustellen. Gespr�che mit anderen ergaben sich und vergingen, w�hrend sie sich im sp�ten Licht des Tages auf den Eingang zuschoben.
über jahrtausendalte Stufen stiegen sie in den Arkaden zu ihren Pl�tzen über der Arena empor. Die R�mer mussten steile Treppen geliebt haben. Oben angekommen, breitete sich l�ngs vor ihnen das Oval des Circus, die B�hne ihnen gegenüber dort unten. Sie lie�en sich auf mitgebrachten Kissen nieder und begannen mit dem Warten. Noch galt es, Stunden bis zur Vorstellung auszuharren. Langsam legte sich die s�dliche Nacht über die Stadt. Langsam fällten sich auch die teuren Pl�tze im Parkett - Damen und Herren in Abendrobe.

Bei ihnen heroben h�rten sie Stimmen in vielen Sprachen, zwischen die das Italienisch von Weinverk�ufern drang, in die sich mehrsprachige Lautsprecher-Durchsagen mischten. Minikerzen wurden ausgegeben. Doch noch hie� es sich gedulden.

Dann k�ndigte eine Durchsage den Beginn der Vorstellung an. Die Besucher auf der Gratinata – den Steinr�ngen, auf denen auch sie beide sa�en – wurden gebeten, die Kerzen zu entz�nden. Bald leuchtete ein Kerzenmeer unter dem Dunkel des n�chtlichen Himmels und das Schauspiel begann.

Kain kannte die Handlung der Oper nicht, die gegeben wurde – Aida. Dass Italienisch gesungen wurde, erh�hte sein Verst�ndnis nicht. So musste Sarah ihm immer wieder kurz Hinweise zu dem geben, was da vor ihnen auf der B�hne geschah. Kain nahm das Ganze der Einfachheit halber als Schau-Spiel, als Ereignis, dem er beiwohnte. Dazu geh�rte auch, dass ein Mond über dem Ganzen aufging, den seine Schwester erst f�r k�nstlich, ein Teil des B�hnenbildes hielt.
St�rker als die theatralische Handlung bewegte Kain die Stille, mit der die vielen Menschen im Rund die Auff�hrung aufnahmen. So bunt zusammengew�rfelt aus allen St�nden und Nationen diese Versammlung war, so still und aufmerksam verfolgten die Einzelnen das Geschehen. Ihn erstaunte aber auch die Akustik und die Sichtverh�ltnisse, die herrschten. Jede Arie, auch das Orchester war über die vielleicht hundert Meter Distanz klar zu vernehmen – aber auch der Bravorufer auf den Steinreihen, der jede, aber auch wirklich jede Arie einer der Aktricen beantwortete. Und auch wenn er die Gesichter der Schauspieler über diese Distanz nicht mehr wahrzunehmen vermochte, er konnte dennoch ausreichend gut erkennen, was auf der B�hne geschah, die fast ein Drittel des Parketts und das gegenüberliegende Rund des Ovals der Arena einnahm.

Als sich schließlich die beiden Liebenden im Kerker in den Armen lagen, ging ein f�r ihn einmaliges Erlebnis zu Ende. Doch bedauerte Kain dies Ende nicht allzu sehr, denn er war auch froh - trotz Kissen -, nach mehr als drei Stunden auf den Steinreihen seinen Sitzmuskeln wieder Entlastung und Bewegung zu verschaffen.

Sarah und er wollten diesen Abend nicht so ohne Weiteres beschlie�en. Also gesellten sie sich auf einen Drink noch zu jenen Arenabesuchern und Nachtschw�rmern, die zu sp�ter Stunde in den Caf�s des Liston sa�en, die linde Nacht genossen und sich unterhielten.

Der Morgen des zweiten Tages fand Sarah und Kain an den H�ngen des Monte Baldo. Gleich nach dem Fr�hst�ck waren sie aufgebrochen. Seine Schwester chauffierte sie über schlecht geteerte Serpentinenstrassen bergan. Sie kamen durch kleine D�rfer, die wie Schwalbennester am Hang hingen. Unten auf der Uferstra�e hatte noch gesch�ftiger Verkehr geherrscht, in den Ortschaften am See gingen Einheimisch und Touristen ihren Tag an. Keine fünf Fahrminuten davon entfernt war von Tourismus nichts zu sp�ren, sie waren Fremde, die einen Blick auf das Leben der hier Heimischen erhaschten.

Doch die zweite H�lfte ihrer halbst�ndigen Bergfahrt f�hrte sie nur noch auf gewundenen Pfaden, manchmal an AbGründen vorbei, in die Macchia und Bergw�lder. An einer Lichtung der Waldstra�e hielten sie. Der Platz wurde wohl manchmal f�r Grillfeste genutzt. Sie hatten Ausblick auf einen Teil des Sees. Zu Hören waren hier nur noch der Wald und der Wind.

Keine zehn Minuten weiter erreichten sie eine Hochebene, eine Stufe im Berg. Wiesen, Viehweiden breiteten sich vor ihnen. Weit auseinander lagen Geh�fte und Ferienh�user. War die Stra�e eben noch schlaglochübers�ht, von hier an verlief sie als sauber geteertes schwarzes Band. Sie hielten, um eine der steinalten Almh�tten n�her zu besehen, die mitten im Gel�nde lagen. Ein einsamer Stier stand, wie als Silhouette gegen den Himmel gezeichnet, auf einer H�gelkuppe.
Sie fuhren weiter, wie auf einer langgestreckten Rampe wieder hinaus aus der Bergwelt, in Richtung Affi und Garda. Kurz bevor sie diese Stadt erreichten, an der letzten Serpentine, die sie endg�ltig aus den Bergen wieder hinausf�hrte, lag ein Caf�-Restaurant. Auf der Aussichtsterrasse dort nahmen sie einen Espresso und lie�en den Blick auf Garda und den See auf sich wirken, w�hrend sich der Duft des Kaffees mit dem der Lavendelrabatte mischte.

N�chstes Ziel war Peschiera del Garda. Sie durchstreiften diesen ehemals malerischen, kleinen Fischerort, den die Venezianer in ein Korsett aus Festungsanlagen gezw�ngt hatten. Sie parkten am �u�eren Hafen, tranken am inneren Hafen ihren n�chsten Espresso, besahen sich die Verkaufsausstellung zweier ortsans�ssiger Maler und kauften Mitbringsel auf einem Wochenmarkt unterhalb des Festungswalles. Schon ging es programmgem�� weiter, Richtung Sal�.

Am fr�hen Nachmittag parkte Sarah das Auto unterhalb der Vittorale, der Villa von Gabriele d�Annunzio. Doch zunächst f�hrten sie ihre Schritte auf den Platz des kleinen Ortes, gegenüber der Haupteinfahrt zu den G�rten und Geb�uden des Villengrundst�ckes am Hang.

Auf der Piazetta a�en sie zu Mittag, unter Schirmen im Schatten eines Arkadenbogens. Beide waren etwas erm�det und sehr durstig und tranken das k�hle, klare Mineralwasser, das sie sich bestellt hatten, in langen, tiefen Z�gen. Fr�her war es Kain nie so vorgekommen, aber Wasser war etwas K�stliches in seiner Frische und Reinheit, wundersch�n in seiner Klarheit und dem Leben so nah. Als sie ihre Pizzen gegessen und sich etwas erholt hatten, brachen sie wieder auf. Beim Zahlen fragten sie die Kellnerin, in welchem Landesteil sie gerade w�ren, sie hatten im Vorbeifahren ein Schild gelesen, dass sie Venetien verlie�en, aber nicht erkennen k�nnen, wohin sie fuhren. Ja, erkl�rte ihnen die Frau, der Lago di Garda grenze an drei L�nder, das Trentino im Norden, dann Venetien im Osten und Süden und hier nun eben w�ren sie im Westen in der Lombardei. Sie dankten, verabschiedeten sich und gingen hinüber zum Eingang des Villenparks, die Auffahrt hinauf und entrichteten an der Kasse ihren Eintritt.

Kain kannte Haus und den Garten mit seinen Attraktionen bereits von einem fr�heren Besuch her. Auch seine Schwester war hier schon gewesen, auf seinen Rat hin. Ihr Besuch heute galt speziell einer Sehensw�rdigkeit, die vor allem Kain wegen ihrer Absurdit�t und gleichzeitigen Grandezza anzog. Ein Realit�t gewordener Surrealismus.

Sie gingen durch den Hof des Hauses, nach links durch einen Tordurchgang hangaufw�rts über Stufen in den Gartenpark, dann nach rechts. Masten ragten zwischen den Zypressen empor, und sie stiegen über eine Treppe hinab auf h�lzerne Planken, das Deck eines Schlachtschiffes, dessen halber Rumpf hier im Hang steckte – der Bug zeigte gegen Osten, Richtung Triest, auf den See hinaus. Wie ein Zeigefinger, und gleichzeitig wie der Balkon eines technikbegeisterten Militaristen – auf dem Vorderdeck standen auf Hochglanz polierte Kanonen. Kain richtete seinen Blick über die Reling in die Ferne, auf die Berge, über den See und kam zur�ck und lies die Absurdit�t dieses KriegsGerätes an seinem jetzigen Ort auf sich wirken. Dass dies eine Geste war, bemerkte er, das Pathos, das dieser Ort atmete, war ihm Einerlei. Gleichwohl war es wichtig f�r das Selbstverst�ndnis vieler Italiener, f�r die dieser ganze Ort eine Art nationales Heiligtum war. Gabriele d�Annunzio, eigentlich Schriftsteller, hatte w�hrend des Ersten Weltkrieges f�r die Befreiung des Landes auf Seiten der Nationalisten gek�mpft, war Persönlicher Freund des Duce. Auf dessen Veranlassung hin hatte er auch von „den Italienern“ dieses seltsame Geschenk f�r seinen Garten erhalten, f�r seinen Einsatz w�hrend der Befreiung Triests von „den Österreichern“.

Sarah war von den Anstrengungen des Tages m�de. Sie waren fast die einzigen Besucher an diesem Tag und ihre M�digkeit war groß genug. So legte sie sich einfach in den Schatten der B�ume am Hang, auf das moosige Gras. Kain gesellte sich etwas sp�ter zu ihr, lie� sie jedoch ruhen. Als sie nach einiger Zeit erwachte, machte sie ihn darauf aufmerksam, dass der Rasen hier mit wilden, duftenden Kr�utern durchsetzt war.

Ihr Programm f�r diesen Tag war abgehakt. Sie machten sich wieder auf den R�ckweg. Dabei verfuhren sie sich kurz vor Sal� und lernten so die Landschaft abseits der Uferregion des Sees kennen. Sanfte H�gel, darauf einsame Geh�fte, Pinien- und Zypressenhaine – Kain stellte sich so die Toscana vor, doch hier ragten im Hintergrund die Bergketten der Alpen.

Vor Desenzano gelangten sie dann doch wieder an den See. In den Aussenbezirken dieser Stadt fanden sie die Filiale einer Deutschen Supermarktkette, wo sie sich mit Reiseproviant, Wein und verschiedenen Mitbringseln f�r ihre heimischen K�chen eindeckten.

Auch der zweite Tag h�tte schließlich beim Abendessen im Hotel und auf der Terrasse am See enden k�nnen, ein Ort, an den sich Kain gew�hnen mochte, auch, wenn direkt davor die Uferstra�e vorbeif�hrte. Doch hatte er seiner Schwester von einem kleinen Ort mit einem stillen Lokal direkt am See erz�hlt, und sie wollte diesen Platz heute kennen lernen. So fuhren sie nach dem Essen noch einmal los, in den Ortsteil Porto, der auch zu der Gemeinde Brenzone geh�rte, in der ihr Hotel lag.

Porto war ein großer Name f�r einen so kleinen Ort. Wenige H�user auf einer kleinen Landzunge und jenseits der Uferstra�e am Hang. Doch diese wenigen H�user auf der Landzunge waren es, die das Ufer von der Stra�e abschirmten und dabei noch den winzigen Hafen mit seinen Booten einfassten. Sie spazierten die Mole entlang zu besagtem Lokal, setzten sich davor an einen Tisch direkt am See und begannen eine Unterhaltung. Kain erz�hlte, wie er den Ort und das Lokal auf der Suche nach einem Abendessen gefunden hatte, wie er den Abend mit dem Sonnenuntergang hier erlebte, dass selbst Schw�ne ihre Jungen hierher gef�hrt hatten, als er das erste Mal da war. Auch heute hatten sie wieder solchen Besuch, eine Entenmutter f�hrte ihre beiden K�ken aus diesen Abend. Sie bestellten Aperetifs, auch wenn das Abendessen schon vorüber war, Kain begr��te den Wirt, sie unterhielten sich. Nachdem er wieder gegangen war, nahmen Sarah und Kain ihre eigenes Gespr�ch wieder auf. Kain fragte sich im Stillen, ob seine Schwester den Zauber des Ortes empfinden konnte, so wie er ihn damals erlebt hatte. Doch selbst f�r ihn war es heute anders, und manche Erlebnisse sind eben einmalig.

Am dritten Tag waren sie auf der Autostrada im Regen unterwegs nach Vicenza.
Im gesamten Gebiet des Gardasees regnete es diesen Morgen. Feiner, d�nner, gleichm��ig nieselnder Regen d�mpfte selbst die Wellenkronen auf der blauGrüngrauen Fl�che des Sees unter einem bleigrauen Himmel. Sie hatten sich als Ausflugsziel des Tages die Villa Rotonda in Vicenza ausgesucht, auch in der stillen Hoffnung, auf dem Weg nach Osten dem Regen zu entgehen.

Nun waren sie also unterwegs, stundenlang, auf breiten mehrspurigen Autobahnen und auf Landstra�en, die sie immer wieder durch triste Industriegebiete f�hrten.
Einmal hielten sie in San Benedetto in Campo. Die alte romanische Kirche mit dem gemauerten Kegeldach des Turmes fanden sie geschlossen, anders als vor Jahren, als Kain alleine auf einer Fahrradtor von Verona nach Venedig unterwegs war. Damals erwartete die Kirche einen Besuch des Papstes, war geschm�ckt. Er war hinein und sogar bis in die unterirdische Krypta gelangt, allerdings ohne einem Menschen zu begegnen.
Sie besahen sich die Kirche von au�en, in ihrer Schlichtheit wirkten die einfachen Formen des Baues noch wuchtiger, archaisch. Auf der Rasenfl�che, inmitten derer die Kirche lag, standen auch einige Pinien, prompt fand Kain Essener auch einen Pinienzapfen, der, frisch vom Baum, noch gefällt mit Kernen war. Seine Schwester machte ihn darauf aufmerksam, dass diese essbar seien und bei ihnen zuhause einige Mark kosten w�rden, vorausgesetzt, man bek�me überhaupt welche.
Als sie vor dem Lokal am Platze einen Espresso trinken wollten, wurde ihnen wenig freundlich beschieden, dies hier w�re keine Bar. Sie fuhren weiter, und ein ganzes St�ck weiter auf Vicenza zu fanden sie endlich eine Caf�bar, die ge�ffnet hatte, in einem Fernfahrerlokal an der Landstra�e.

Als sie endlich die Stadt erreichten, war es schon nach Mittag. Doch noch hatten sie die ber�hmte Renaissancevilla des Architekten Andrea Palladio nicht erreicht. Es folgte eine kleine Irrfahrt, die sie bis in die Innenstadt und durch Randbezirke von Vicenza f�hrte, bis sie die Stra�e stadtausw�rts fanden, an der die Villa lag. Pr�chtig, wie sie da an der alten Landstra�e nach Verona auf einem H�gel stand, inmitten des ummauerten Gartenparks. Als sie endlich vor den Toren der Auffahrt ankamen, waren diese geschlossen. Sie lasen, dass um 15.00 ge�ffnet w�rde – bis dahin blieb noch mehr als eine Stunde. Sie fuhren in die Weing�rten hinter der Villa, improvisierten dort einen Imbiss aus dem Mitgebrachten und naschten von den Reben nebenan. Der Regen hatte etwas nachgelassen.
Gegen 15.00 brachen sie wieder auf und parkten ihr Auto an der Stra�e, die aus dem kleinen Ort zu F��en des Landsitzes hinauff�hrte. Noch hatten sie etwas Zeit und erkundeten den Fu�weg, der gegenüber der Auffahrt zur Villa zwischen Grundst�cken mit dicken Gartenmauern und altem Baumbestand hinauff�hrte. Der Regen setzte wieder ein. Sie sch�tzten sich mit M�nteln und Schirmen gegen das Nass und stellten sich vor die Pforte, den Einlass zum Park der Villa. Einige wenige Besucher und Touristen gesellten sich zu ihnen, dann kam auch der Kustos und �ffnete ihnen. Doch groß war ihre Entt�uschung, als sie erfuhren, dass die R�umlichkeiten der Villa heute nicht zug�nglich w�ren, nur Tags darauf, am Mittwoch w�ren sie f�r Besucher ge�ffnet. So blieb ihnen nur, den Landsitz der Familie Capra von au�en zu betrachten und den Gartenpark ringsum im Regen zu genie�en. Sie schritten um das Geb�ude, besahen die m�chtigen Portiken, die den Bau mit der zentralen Kuppel nach allen vier Himmelsrichtungen �ffneten. Innerhalb der B�schungsmauer war die H�gelkuppe planiert und aufgesch�ttet worden. Die Villa lag so, dass von ihr aus das ganze Umland zu überschauen war. Dem Zugang der Villa gegenüber, der wie eine rosenrabattenges�umte Rampe von der Stra�e herauff�hrte, jenseits dieser lag die alte Kapelle des Anwesens, dahinter die bewaldeten H�gelketten, die Vicenza auf dieser Seite umschlossen. Sie hielten in diesem Anblick inne, seine Schwester mochte sich nicht so schnell von diesem Bild l�sen, Kain fotografierte.
schließlich l�sten sie sich doch, sahen sich noch etwas im Garten um. So traten sie an die Br�stung in der Nordostecke, die den oberen Gartenpark vom tiefergelegenen Wirtschaftsgarten trennte. Sie blickten hinab in einen Graben – und in einen H�hnerhof. Doch was waren das f�r f�rstliche H�hner! Wohl etwa 10 Meter von ihnen entfernt sahen sie Hennen und H�hne ihr Futter picken, die eher die Gr��e von Truth�hnern zu haben schienen. Beide waren sie verbl�fft und auch erheitert, so nahe an der klassizistischen Pracht der Renaissance so viel profanes Leben zu finden.
Noch blieben sie f�r einen Besuch im hauseigenen Andenkenladen, dann verabschiedeten sie sich von dem Ort und nahmen noch einmal einen Espresso in der nahen Stadt, bevor sie sich auf den langen Heimweg zur�ck an den See machten.

Ihren vierten Tag hatten sie der Antike gewidmet. Morgens zum Fr�hst�ck gr��te sie die Sonne wieder, deren Schein den Seespiegel sp�tsommerlich gl�nzen lie�, als h�tte es den Regentag zuvor nicht gegeben. Sie brachen auf, angetrieben von Gedanken an die Grotten des Catull und ein Bad im See. Doch zuvor wurde ihre Geduld auf eine harte Probe gestellt. Die Uferstra�e war überfällt, anscheinend hatten sich alle anwesenden Touristen darauf geeinigt, diesen Tag f�r einen Ausflug zu nutzen, und so qu�lten sie sich teel�ffelweise voran, bis nach Garda. Erst darüber hinaus wurde der Verkehr fl�ssiger, sie fuhren z�gig am Vergn�gungspark Gardaland vorüber, erreichten Peschiera del Garda und schließlich Sirmione.
Einen Parkplatz fanden sie, und dann standen sie vor der Scaligerburg, die wie ein Korken den Zugang nach Sirmione verschlie�en konnte. Vor dem Flaschenhals, der Zugangsbr�cke zur Altstadt, boten Melonenverk�ufer ihre s��en und saftigen Fr�chte an. Trauben von Touristen vor den St�nden, Str�me von Menschen, in die Stadt und hinaus, auf der Br�cke, dazwischen immer wieder Autos im Schritttempo, Einheimische mit Genehmigung. Sarah und Kain schoben sich durch das Gedr�nge in die Stadt. Ihr Ziel waren die Grotten des Catull, die Reste einer r�mischen Villa am �u�ersten Ende der Halbinsel, die wie eine Nadel in den See stach. Sie beschlossen, ihren Weg über die Uferpromenade zu nehmen, in der Stadt war ihnen zuviel Betrieb. Das Rothenburg Italiens – vielleicht ebensoviel Besucher wie dort, nur auf einer wesentlich kleineren Fl�che. Also bogen sie nach rechts ab und nur wenige Schritte brachten sie aus dem Trubel hinaus. Ihr Weg am nord�stlichen Ufer der Halbinsel entlang belohnte sie darüber hinaus mit freiem Blick über den See, wie er von Bergen eingerahmt wurde. Nach vielleicht einer viertel Stunde erreichten Kain und Sarah das Ende des Uferweges und stiegen die Anh�he zu dem Plateau hinauf, auf dem die Ruinen lagen. Oben angelangt, machten sie erst einmal Rast auf einer Bank, genossen den Ausblick und das, was sie sich als Mittagsimbiss mitgebracht hatten. Unten, in einer Bucht zwischen Schilfinseln, vergn�gten sich Einheimische und G�ste im Strandbad. Sie sa�en hier oben, alleine im k�hlen Seewind und lie�en es sich gut gehen.
Von hier war es nicht mehr weit zu den Ausgrabungen. Auf dem Vorplatz erwartete sie eine Schlange von Besuchern, die bereits vor dem Kassenh�uschen anstanden. Sie gesellten sich hinzu, nach kurzer Zeit waren sie an der Reihe zu zahlen. Kain musste noch sein Kamerastativ abgeben, dann wurde ihnen Einlass gew�hrt. Sie schritten über Wege, die schon vor Jahrtausenden Besucher gesehen hatten. Hier stand in der R�merzeit eine Villa, allen Erkenntnissen nach hatten bereits die Alten diesen Ort zu einer Attraktion ausgebaut. Catull, der in seinen Dichtungen den Gardasee als Benacus besungen hatte – auch er soll hier gewesen sein. Sarah und Kain durchstreiften das Gel�nde. Von der oberen Promenade blickten sie hinab auf die Steintafeln, welche, von Gletschereis glattgeschliffen, nun vom t�rkisklaren Seewasser überwaschen wurden. Sie durchwanderten die Arkaden, unter denen einst H�ndler ihre Waren anboten, bewunderten den Ausblick auf die Halbinsel bei Sal�, welcher schon die Alten hierher gezogen hatte. Sie fanden das Schwimmbecken, das die R�mer sich hier angelegt hatten, betrachteten die Fundamente der Villa, die hier stand, wo jetzt ein Olivenhain Grünte. Sie wunderten sich über die ziegelgepflasterte Sammelfl�che der Regenzisterne und standen schließlich im Schatten der m�chtigen B�gen, welche das Theatrum umfassten, das in fr�hen Zeiten hier angelegt wurde, nur um den Ausblick über den See zu umfassen, so, wie er den Alten wunderbar und heilig war.
Heute noch zog dieser Ort Menschen an. Viele besuchten diesen Ort wegen der Altert�mer, wegen seiner Geschichte. Aber das hier war ein Ort, der besonders war. Eine Anh�he inmitten eines Sees, frei nach drei Seiten, der Blick über den See, auf die Ufer, die Berge. Ein Panorama, eher eine Auff�hrung der Natur. Und ein wenig so, als fl�ge der Betrachtende da hinein.

Irgendwann mussten Kain und Sarah wieder gehen. Noch einen Moment hielten sie inne und besuchten das Museum mit den Fresken, Fundst�cken, deren die Arch�ologen hier habhaft geworden waren. Noch einmal legten sie eine Pause ein, auf dem Vorplatz, im Caf� dort tranken sie Espresso und Mineralwasser, sahen nochmals über den See. Dann bestiegen sie die Elektrobahn, die sie den Weg bis an den Ort brachte. Diesmal gingen sie durch die engen Gassen, durch das Menschengedr�nge, verirrten sich auf der Suche nach einem ruhigeren Weg auf Pl�tze, ges�umt vom Glanz alter Hotels, mit einem Uferst�ck Riviera. schließlich fanden sie den Weg hinaus und zu ihrem Auto.
Der Tag ging dem Abend zu, es wurde k�hler. Auf dem Weg zur�ck ins Hotel beschlossen Sarah und Kain, den Badestop in der Bucht von Garda zu lassen. Lieber wollten sie am Abend nach dem Essen nochmals in die Stadt zur�ckkehren, um auf den Geburtstag von Sarah anzusto�en.
So streiften sie also in der Nacht durch die immer noch gesch�ftigen Gassen von Garda, wieder inmitten anderer Touristen, bummelten durch die Gesch�fte und fanden schließlich einen Tisch in einem Caf� am Yachthafen der Stadt. Die Uferpromenade weitete sich hier zum Platz, irgendwo auf einer B�hne spielte eine Band, ein S�nger sang italienische Schlager und Lieder aus amerikanischen Spielfilmen, die in Italien spielten, von Italien handelten. Volare, Marina und Sinatrasongs. Sie g�nnten sich Longdrinks, Cocktails mit fantasievollen Namen. Kain hatte einen Blue Moon. Der See vor ihnen war eine schwarze, spiegelnde Scheibe. Von der gegenüberliegenden Seeseite gl�nzte Sal� und der ganze K�stenstreifen bis Limone herüber. Die Luft roch nach Wasser, See, Frische. In das Sprachgewebe ringsum, in den Gesang und die Musik mischte sich vom Hafen vor ihnen das rhythmische Klatschen, mit dem sich die Wellen an den Bootsr�mpfen brachen, der Klang, mit dem Takelage gegen Metallmasten schlug. Kain prostete Sarah zu. Sie unterhielten sich, lie�en ihren Urlaub nochmals vorüber ziehen. Morgen war Sarahs Geburtstag. Morgen war der Tag ihrer Abreise.

Auch ihr Reisetag sah die Sonne über dem See. Beim gemeinsamen Fr�hst�ck gratulierte Kain seiner Schwester zum Geburtstag. Anschlie�end setzten sie sich zum letzten Mal auf die Terrasse und genossen den Blick über diesen See, der auch ein Meeresausl�ufer sein k�nnte, bei einem Kaffee. Dann nahmen sie Abschied, bedankten sich bei denen, die sie die letzten Tage über freundlich bedient und versorgt hatten, auch f�r manchen guten Hinweis, Rat. Bald hatten sie gepackt, bezahlt und ihr Auto beladen.

Sie fuhren nach Norden, zunächst nach Torbole und dort bergauf Richtung Rovereto, hielten auf dem Parkplatz an jener Kurve, von der aus sie der Blick über den See zuerst überrascht hatte. Kain fotografierte dieses Panorama, dass ihn immer noch begeisterte, diesen s�dlichen und s�dl�ndischen Fjord.
Dann ging es zur�ck und weiter nach Arco, den Ort mit der mittelalterlichen Burg, die hoch über den H�usern auf einem einsamen, steilen Felsen lag. Besorgungen t�tigten sie hier, und dann war schon wieder Zeit f�r einen Espresso am Platz der Kirche. Weiter ging es zum Schuhe kaufen ins �rtliche Industriegebiet. Sie fanden auch jeder etwas, zu guten Preisen.
Von hier aus ging es das Sarcatal hinauf, eine Strecke, die stetig bergan f�hrte. Von einem schmalen Fluss durchflossen, mit ihrer Mischung aus Weinbergen und Bergw�ldern schien sie Kain sehr reizvoll. Einmal weitete sich das Tal, die Sarca fällte sich zu einem kleinen See, auf einer Halbinsel darinnen ein Renaissance-Schl�sschen.
schließlich erreichten sie auf dieser Strecke Trient, von wo aus sie die Autobahn zum Brenner nahmen. Am fr�hen Nachmittag kamen sie nach Bozen und machten nochmals Halt. In der malerischen Altstadt g�nnten sie sich in einem kleinen Br�uhaus am Obstmarkt einen kr�ftigen Imbiss. Dann bummelten sie durch die arkadenges�umten Gassen, kauften dies und das f�r ihr letztes italienisches Geld, bevor sie weiterfuhren. Noch lagen Hunderte von Autobahnkilometern vor ihnen.




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