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Kain Essener: Im Bauch des Walfisches
Eigentlich hatte er den Walfisch sehen wollen. Die erste Abzweigung
seiner �blichen Route zur Philharmonie am Gasteig hatte er verpa�t. Als er die
�u�ere Wiener Stra�e entlang fuhr, fiel ihm ein, da� er ja auch so sein Vorhaben
in die Tat umsetzen konnte. Auch von dieser Isarseite her kommend hatte er die
M�glichkeit, das Geb�ude der Philharmonie von der unterhalb liegenden Flu�br�cke
aus dem Auto heraus zu betrachten. Er w�rde eine Spitzkehre fahren, unten an der
Ampel vor der. Museumsbr�cke. Er hatte sich vorgestellt, da� die Philharmonie
wie ein gestrandeter Walfisch am Hang des Isarhochufers liegen w�rde, über dem
M�ller'schen Volksbad. Die hochaufragende, erleuchtete Glasfassade w�rde wie die
Barten im Maul eines Wales erscheinen. Deshalb hatte er eigentlich vorgehabt, am
anderen Flu�ufer entlangzufahren, auf der Stadtseite. Dann wollte er den Flu�
auf der Museumsbr�cke überqueren. Und dann, so stellte er sich vor, w�rde der
Gasteig wie ein gestrandeter Wal vor ihm liegen. Kain Essener achtete auf den
Verkehr. Die Ampel f�r die Linksabbiegespur an der Museumsbr�cke zeigte Rot, er
mu�te halten. Die Ampel wechselte nach Grün, er fuhr an und zog sein Auto in
einer Spitzkehre auf die Gegenfahrbahn. Wenig Zeit blieb ihm, den gesuchten
Anblick zu finden. Er war im flie�enden Verkehr, in einer Grünphase, bergan die
Rosenheimer Landstra�e. Durch die Windschutzscheibe hindurch sah er zu dem
Geb�ude auf der Anh�he, über der Stra�e. Was er sah, war etwas anderes als
der erhoffte Anblick eines Walfischmaules. Die schwach erleuchteten Fenster des
Foyers hoben sich kaum ab gegen die dunklen Fl�chen der raumumfassenden W�nde.
Die schattenschwarzen Mauern lie�en sich mehr ahnen, als da� sie sichtbar wurden
vor dem n�chtlich dunklen Himmel. Was Kain sah, war ein Bild, anders als
erwartet. Gab es dunkle Pastellt�ne, dunkles und dennoch lichtes Blau und Gelb?
Und lichtes Schwarz? Was er f�r einen Augenblick sah, war kein Walfisch. Was er
f�r einen Augenblick sah, war das Bild der Marktkirche zu Halle, gemalt von
Lyonel Feininger, aufscheinend in der Fensterkaskade des
Haupttreppenhauses. Es war Nacht, die Ampel zeigte Grün. Er fuhr die
Rosenheimer Landstra�e stadtausw�rts. Am Rosenheimer Platz wendete er wieder in
einer Spitzkehre, zog wieder auf die Gegenfahrbahn. Wenige Meter, und er bog
nach rechts ein, fuhr die Rampe hinunter in die Parkgarage des Hotels, das an
den Geb�udekomplex der Philharmonie angef�gt ist. Er wollte ins Konzert, in
den Bauch des Wales.
Klaus Gölker ©2000 | Home |
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