Seine Geschichte


Gegen abend kam der Reisende am Haine an. Er wurde von denMönchen freundlich empfangen und sie geleiteten ihn in die Mauern ihres Klosters. Dort nahmen sie nach getanem Tageswerk gemeinsam ein einfaches und wohlschmeckendes Mal zu sich - aus den Früchten und Gütern, welche die Mönche in ihren Gärten und Feldern zogen und zu bereiten wussten. Nach dem Speisen lachten und scherzten sie miteinander, und der Reisende erzählte ihnen von den Begebenheiten, die er auf seinem Weg erlebt und von der Welt, die er gesehen hatte.
    An diesem Tage war er in der Morgendämmerung von seinem nächtlichen Rastplatz unter einem bergenden Baume aufgebrochen - von einer Anhöhe inmitten einer Landschaft aus grünenden Reisfeldern und Kanälen, in denen sich der klare Himmel wiederspiegelte. In der Ferne lag ein Bergeszug, dessen Höhen von der aufgehenden Sonne angestrahlt wurden- sein Reiseziel.
    Er folgte den Dammwegen zwischen den Reisfeldern und querte die Kanäle auf den hölzernen Stegen, welche die Reisbauern angelegt hatten, bis er eine Magistrale erreichte. War er bisher alleine gereist und nur hin und wieder an Hütten vorbeigekommen, in denen sich das Leben nach dem Dunkel der Nacht wieder zu regen begann - einmal begegnete ihm eine Schar Bauern, die zur Arbeit auf ihren Feldern auszogen und mit denen er den Morgengruß tauschte - so war hier geschäftiges Treiben und er nicht mehr der einzige Reisende.
    Ein Händler mit seinem pferdebespannten Fuhrwerk fragte ihn seines Weges, und weil dieser für ein gutes Stück der gleiche war, lud er ihn ein, auf seinem Wagen mitzureisen - gemeinsame Fahrt sei frohere Fahrt. So lud der Reisende sein Bündel unter den freien Platz, setzte sich hinzu und so fuhren sie des Weges, der sie durch Ortschaften und vorbei an Gehöften führte. Je näher sie dem Fuß der Bergeskette kamen, um so hügeliger und bewaldeter wurde die Landschaft. Vorbei an all diesem zogen sie, und im Gespräche über die Belange des Lebens und das Wesen des Handelns und Wandelns in diesem Lande fragte der Händler, welchen Sinn nun die Reise seines Begleiters hätte, worauf dieser antwortete, daß er als Bote unterwegs sei und sein Auftrag ihn nach jenen Bergen führe. Weiter ließ er sich jedoch nicht darüber befragen, und ihr Gespräch versiegte darob, was jedoch kein Schade war, da sie bereits nahe der Stadt kamen, die Ziel und Heimat des Händlers war.
    Innerhalb der Tore angekommen, gelangten sie durch das rege, geschäftige Treiben, vorbei an Buden und Warenausrufern - denn es war Markttag in der Stadt - bis vor das Haus des Händlers, der in der Stadt ein begüterter Kaufmann war. Der Reisende half dem Händler beim Abladen und Einbringen der Ware. Er konnte sich die Zeit hierzu nehmen, denn er hatte durch die Freundlichkeit des Händlers sein Tagesziel bereits am Nachmittage erreicht. Der Händler lud den Reisenden zu einem kleinen Male ein, und so speisten sie im Hofe des Hauses - bewirtet von den Kindern und der Frau des Händlers, die sich zu ihnen gesellte, nachdem sie für das Nötige gesorgt hatte. Der Reisende mußte von den Ländern und den Menschen seiner Heimat berichten, und über deren Moden und Künste. So entwickelte sich ein Gespräch, und sie hätten sich auf angenehmste Weise bis zum späten Abend unterhalten können.
    Nach dem Male machte der Gastgeber dem Reisenden den Vorschlag, die Nacht unter seinem Dache zu verbringen, seinerseits aus dem Wunsche heraus, das Gespräch fortsetzen zu können und um Möglichkeiten des Handels zu erörtern, denn manches, was der Reisende aus seiner Heimat zu berichten wusste, hatte das Interesse des Händlers gefunden, und er hoffte auf neue Geschäftsverbindungen und darauf, sein Angebot um begehrenswertes Neues zu erweitern. So antwortete Reisende, dass er bei anderer Gelegenheit gerne dem Händler zu Gebote stünde, jetzt jedoch die Gunst des Tages nutzen wolle und seine Wanderschaft heute noch fortsetzen werde, da es lange genug hell sei, so dass er vor Anbruch der Nacht ohne Hast noch ein gutes Stück seines Weges ziehen könne. Der Händler, der seinen Gast achtete, entließ diesen darob, und sie schieden, einander Dank sagend und ein Wiedersehen wünschend.
    Bald hatte der Reisende Haus und Stadt wieder verlassen und zog die Straße entlang, hinauf in die Berge. Die meisten Menschen, denen er jetzt begegnete, kehrten von ihrer Arbeit und Tagesmüh zurück. Er überquerte den Fluß vor den Toren der Stadt auf einer großen, hölzernen Brücke und zog, nun wieder alleine, langsam die Straße entlang, welche ihn gewundenen Pfaden zwischen den Weinbergen und terrassierten Feldern bergan führte.
    Ein Stück weiter des Weges, es war inzwischen früher Abend, erklomm er auf einem Höhenrücken einen Pass, von dem aus sich ihm noch einmal ein herrlicher Blick bot - über die Abhänge mit ihren gepflegten Terrassen und über die Stadt, die im Abendlichte eingebettet in der grünenden Hügelland-schaft unter ihm lag. Dann wandte er sich wieder seinem Wege zu, der ihn nun durch schattige Laubwälder führte, in denen es schon dunkelte. Bald erreichte er einen kleinen Fluß, der breit und flink das Quertal durchzog, in welchem er sich nun befand - dessen Wasser, irgendwo weiter oben in den Bergen entspringend, dem Verlauf des Tales folgten und dieses prägten, weiter unten über einen rauschenden Wasserfall mit den Wassern des großen Flusses in der Ebene sich vereinend. Der Weg querte den Fluß bei einer seichten Furt. Der Reisende durchwatete diese, wobei ihm das Nass die vom Fußmarsch erhitzten Füsse kühlte und den Staub davonwusch.
    So erreichte er die Ländereien der Mönche, welche ihm jetzt Speise und Nachtlager boten. Nachdem sich Gast und Gastgeber gemeinsam der abendlichen Meditation gewidmet hatten, wurde dem Reisenden ein Nachtlager im Schlafsaale der Mönche bereitet. So ruhte er diese Nacht, anders als die letzte, in Gemeinschaft und im Schutz von Mauern.
    Am nächsten Morgen, nach der Andacht, wandelte er mit einem der Mönche im Gespräch durch die kunstvolle Anlage des Klostergartens. Der Mönch fragte, ob er denn nicht bei ihnen im Kloster bleiben wolle, um gemeinsam mit ihnen zu leben. In der Zwischenzeit waren sie am Teiche angekommen und hielten an dessen Ufer inne. Beide schauten hinab und sahen ihre Spiegelbilder ihnen von der glatten Oberfläche des Wassers entgegenblicken. Der Reisende nahm einen kleinen Stein und warf ihn ins Wasser, woraufhin die Wellen die Bilder zerstieben liessen. Im Moment lächelte sein Begleiter, nahm geschwindt einen Kiesel und traf nahe der selben Stelle, so dass sich die Kreise zu überlagern begannen und neue Formen, Muster gaben. Stumm sahen die beiden zu, schweigend lächelnd gingen sie weiter - als der Reisende sich im Abschied an die Mönche wandte, wurde er nochmals gefragt, ob er nicht bei den Mönchen verweilen wolle - ? Dankend lehnte er ab, verprach jedoch, wiederzukehren, so sein Weg ihn wieder an diesen Ort führe - dann zog er weiter.
    Der Wanderer, der reisende Bote folgte auch diesen Morgen den Pfaden bergan. Der Weg wurde steiler, er musste nun des öfteren Felsblöcke übersteigen - karger, karstiger wurde die Landschaft rings um ihn. Er folgte dem Flusse weiter laufaufwärts zu seinem Ursprung. So erreichte er um die Mittagszeit das Ende des Tales unterhalb der Berggipfel. Hier entsprangen die Wasser des Flusses einem kristallklaren Bergsee, der aus den Schmelzwassern des ewigen Eises der Gipfel ringsum gespeist wurde - Wasser, gefrohren in der Kühle der Nacht, aus dem Dampf der Luft, getaut in der Wärme der Tagessonne - geboren im Kreislauf der Veränderungen.
    Als er hier angekommen war und dastand, in der Luft eines frischen, sonnigen Tages, und seine Botschaft in die Runde der Ewigkeit rings um ihn rufen wollte, als er schon tief die Luft dieses Ortes einsog und den Mund öffnete, da hörte er aus seinem Inneren, aus dem Grunde seines Herzens ein ruhiges, stilles, aber bestimmtes: Ja. Und anstatt zu rufen, begann er zu lauschen.




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