Als es bei mir klingelte



Die Geschichte, die ich nun erzählen möchte, wird hoffentlich dazu beitragen, dass auch andere mit der gebotenen Achtung und Umsicht handeln, wenn sie mit der Kraft umgehen, die in meinem Erlebnis eine wichtige Rolle spielt. Für mich war es nicht die erste und nicht die letzte Begegnung mit der Elektrizität, es war eine sehr einprägsame.
  Damals muss ich etwa 16,17 Jahre alt gewesen sein. Beim nach Hause kommen von der Schule stellte ich fest, dass unsere Haustürglocke das tat, was sie nicht sollte: sie blieb stumm, als ich den Klingelknopf drückte.
Meiner Mutter wollte ich eine Freude und mich im Haushalt nützlich machen. Im Physikunterricht hatten wir bereits Elektrizitätslehre durchgenommen. Also beschloss ich nach dem Mittagessen und den Hausaufgaben, es kann auch nach dem Mittagessen und vor den Hausaufgaben gewesen sein, jedenfalls ich beschloss, nachzusehen und, wenn möglich, die Glocke zu reparieren.
  Die Türklingel, ein älteres Modell mit Schwinghammer und Glocke, war schwer zugänglich angebracht, rechts über der Haustüre, am Antritt der Treppe zum Dachgeschoss. Eine etwas gewagte Kletterpartie war erforderlich, um zu ihr hinzureichen.
  Schon alleine der Standort für meine Reparaturarbeiten war gefährlich. Mit gespreizten Beinen stand ich über der Treppe, ein Fuß auf dem Geländer der Treppe, der andere auf dem Fensterbrett des Treppenhausfensters. Immerhin, so gelangte ich an den Deckel des Schlagwerks. Sobald ich den Gehäusedeckel abgenommen hatte, konnte ich sehen, dass sich einer der Drähte gelöst hatte und aus der Anschlussklemme herausgerutscht war. Da das Gehäuse über die Jahre vergilbt und die verchromte Glocke matt geworden war, wollte ich die Türklingel zunächst reinigen. Um dies auch sorgfältig zu tun, schraubte ich die Klingel ab und nahm sie mit in mein Zimmer. Nachdem ich die Türklingel gesäubert, die Glocke sogar mit Metallpolitur zum Glänzen gebracht hatte, machte ich mich daran, den Mechanismus wieder an seinem angestammten Platz zu installieren.
  Es konnte geschehen, weil ich es unterlassen hatte, die Sicherung für die Klingel zu suchen und vor den Arbeiten daran herauszudrehen. Es konnte geschehen, weil ich beim Arbeiten mit einem einfachen Schraubenzieher einen Finger auf dessen nicht isolierte Metallklinge legte. Einen Draht hatte ich bereits wieder in eine Klemme angeschlossen. Als ich gleiches mit dem zweiten Draht machen wollte, floss plötzlich elektrische Strom durch mich, ich hatte ja den Finger am Metall des Schraubenziehers. Zusätzlich hatte ich den Fehler gemacht, den Minuspol zuerst anzuschließen. Da ich isoliert stand, musste ich Masse über das Gerät bekommen haben.
  Das Gefühl, welches elektrischer Strom in den eigenen Nerven auslöst, wenn er ungeordnet durch den ganzen Köper fließt, kann ich am besten so beschreiben: ich fühlte mich ganz als Schmerz.
  In meinem Fall hatte mein Dasein im Stromkreislauf noch einen zusätzlichen Effekt: es klingelte.
Langsam richtete sich mein Blick auf meine Hand mit dem Schraubenzieher an der Glocke, doch bis heute kann ich nicht sagen, ob es mir willentlich gelang, mich zu lösen, oder ob ich einfach abrutschte. Doch ich kam frei und das Klingeln hörte auf.
  Danach habe ich die Glocke richtig angeschlossen; später habe ich noch öfters an unserer Haustüre Klingeln montiert. Geläutet hat es dann nur noch, wenn jemand den Klingelknopf drückte.




Klaus Gölker   ©2000   | Home |